Alive and Kicking

Redaktion Kyros Kikos
Redaktion Kyros Kikos

Weder abgehalfterter Sound noch hippe Pose und schon gar nicht tot: Punk ist eine Haltung und verdammt vital. Zweifel? Ab zum Open-Air «Obenuse Fest» in der Roten Fabrik.

USA 2010. Barack Obama ist seit kurzem Präsident. Das Land wähnt sich in einer Zeitenwende und die Welt atmet Hoffnung. Die junge, erst zwei Jahre bestehende und völlig unbekannte Schweizer Punk-Band Überyou tingelt grade durch die Staaten und versucht auf gut Glück, Gigs an Land zu ziehen. Zufällig erfährt sie von einem Punk-Festival in Florida, das damals seine achte Ausgabe feiert und ziemlich gut sein soll. Also ab dahin. Vielleicht lässt sich ja sogar eine Auftritt arrangieren. Mit dem Auftritt wird es erst mal nix, aber die jungen Punks sind hin und weg. Das mehrtägige Ereignis findet im Uni-Städtchen Gainesville statt und trägt den schlichten Namen The Fest. Die gesamte Innenstadt ist eine Bühne. Vom kleinsten Pub bis zur grössten Konzerthalle. Hunderte von Bands spielen. Vornehmlich Punkrock aber auch Artverwandtes wie Indie, Hardcore, Metal, Ska. Die Acts sind genauso Hammer wie die Stimmung. Für Überyou wird es ein prägendes Erlebnis.

Zürich 2015. Überyou sind schon seit einer Weile zurück in der Schweiz. Hier ist die Punk-Szene überschaubar und das lustvoll Wilde nur in Nischen präsent. Gainesville geht ihnen nicht aus dem Kopf. Ein Fest wäre geil. Wie in Florida. In Zürich gibt es aber keins. Also entsteht zusammen mit Gleichgesinnten aus dem Freundeskreis ganz nach Punk-Manier ein Plan: do it yourself. Fünf Spielorte werden klar gemacht. U.a. das Kinski, El Dorado, das ehemalige Pornokino Roland. Das weltweite Netzwerk wird mobilisiert und schliesslich sind 25 Bands am Start. OBENUSE FEST 1: Voller Erfolg.

In den Folgejahren finden die Ausgaben zwei bis fünf statt. Dann macht Covid dem Festival einen Strich durch die Rechnung und die geplante Nummer sechs muss im Pandemiejahr 2020 im letzten Moment abgesagt werden. Eine dreijährige Pause folgt. Doch 2023 ist es wieder soweit und ein neues Fest steigt. 7 Clubs, 36 Acts. Das wird zwar sensationell, aber die aktivistische nichtkommerzielle Veranstaltungsstruktur fordert ihren Tribut. Ein Ding dieser Grössenordnung ist organisatorische Knochenarbeit. Für 2024 wird somit Pause statt neue Ausgabe geplant.

«Hier Musikbüro. Lust, ein Festival auf die Beine zu stellen?»

Irgendwann 2024 klingelt das Telefon. «Hier Musikbüro. Ein Konzert für die Sommerbühne am 20. Juli fällt aus. Besteht Interesse, ein kleines Festival für diesen Tag auf die Beine zu stellen?» Die Bedenkzeit dauert nur kurz. Pause hin, Auszeit her, der Bock ist gross. Lust schlägt Vernunft. In nur wenigen Tagen steht das Programm. Und so findet auch dieses Jahr ein Obenuse Fest statt. Wunderbar. Angekündigt mit einem gewitzten Plakat (schaut mal auf die Cover eurer Bad Brains Alben).

Zwar nur ein Spielort. Dafür Freiluft. Zwar nur fünf Bands. Dafür ein fetziges line up:

ANNIE TAYLOR

1901 gelang es der US-Amerikanierin Annie Taylor als erstem Menschen, sich in einem Eichenfass die Niagarafälle herunter zu stürzen und zu überleben. Wow, dachte sich eine Band aus der Schweiz. Mutig. Verwegen. Durchgeknallt. Genau der richtige Name für uns. Das englische Musikmagazin Gigwise beschreibt ihren Sound als «Mellow, cool guitar romp thought desert rock, shoegaze indie and pop influences. Lush.» – Und das nicht ohne Grund!

ÜBERYOU

Wenn eine Plattenkritik zur Band in der Aussage gipfelt «Geil, klingt es. Streckenweise sogar sehr geil», ist dem nichts hinzuzufügen. Sie haben schon fast alle Erdteile gerockt, haben sich in Florida die Inspiration für Punk-Sausen in der Schweiz geholt, sind massgeblich für das Zustandekommen vom Obenuse Fest verantwortlich und klingen auch live: Geil. Streckenweise sogar extrem geil.

HUNTED LIKE THIEVES

Die Zürcher Band gibt es seit Sommer 2013. Kraft- und gleichzeitig gefühlvoller Hardcore trifft auf die rohe Energie von Punkrock. Auf die Texte wird genauso viel Wert gelegt wie auf den Sound. Persönliches kommt dabei ebenso vor wie klare gesellschaftliche Statements. Live ist die Truppe Garantin für Moshen, Stagediven und Bierduschen.

THE HIGH TIMES

Die kleine charmante Schwester vom älteren, wütenden Bruder. So beschreibt sich die Band und schmunzelt wohl dabei. Kraftvoller Sound und als Kontrast die Engelstimme der Sängerin. Neben den Punk-Elementen, schimmert sehr gewollt, die Nähe zu New Wave Heldinnen wie Blondie oder The Pretenders durch.

MR. LINUS

Nicht nur in Zürich fetzt es. Auch in Graubünden. Das Trio macht einzigartigen Indie-Punk made in Grischun. Die zwei Frontfrauen an Bass und Gitarre singen auf sehr unterschiedliche Art und Weise grossartig und der Drummer ist hervorragend. Der mit Hardcore gewürzte Sound erzeugt eine erfrischende, verletzliche und manchmal bedrohliche Rauheit. Und dazu noch: super Texte.

Von Kyros Kikos am 11. Juli 2024 veröffentlicht.

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