Gemeinsam durchs Haus Konstruktiv

Bevor der Rundgang beginnt, stehen wir vor dem Museumseingang. Roy und Sara werden uns durch diese Ausstellung begleiten. Es ist der erste Rundgang dieser Art und die letzte Ausstellung in diesem Industriebau. Die Ausstellung ist eine Hommage an das Gebäude. Farben, Formen und Licht stehen im Zentrum. Wir betreten den ersten Raum. Plötzlich lösen sich zwei Menschen von der schwarz-weiss karierten Wand. Wie Windböen bewegen sie sich durch den Raum und erwecken die Formen zum Leben. Einige Zuschauer:innen lachen, andere sind etwas verdutzt darüber, was hier auf sie zukommt. Auch ich frage mich, was mich in den folgenden Räumen erwarten wird, denn der grosse Kontext zur Ausstellung oder zum Rundgang blieb den Besucher:innen im Vorfeld verborgen. Dann ein Raum mit Neonröhren, grell, laute Stimmen von den anderen Besucher:innen. Die beiden Performer:innen beginnen Laute von sich zu geben, alle Menschen verstummen. Mir stellen sich die Nackenhaare auf. Es ist, als wäre ich in einer Kirche und gleichzeitig in diesem grellen Raum. Dann wird es plötzlich still und die Performer:innen ziehen stumm weiter in den nächsten Raum. Wir folgen. Hier werden wir aufgefordert, Geldbündel aus einem Stoffbeutel zu ziehen. «Wer bietet auf dieses Streuli?» ruft Roy. «Was lauft da?» höre ich einen Besucher neben mir lachend sagen. «100? 600? Ich höre 1000!» ruft Roy. «Verkauft für 2000 Franken an den Herrn in Gelb».

Dann verlassen wir auch diesen Raum und durchqueren einen mit Leintüchern ausgekleideten Gang. Weiter geht es durch Räume mit Lakenhöhlen, wie ich sie als Kind gebaut habe. Wir erreichen den letzten Raum. In der Mitte steht ein Glastisch, auf dem sechs Tischsets liegen. Wir überlegen, ob wir uns setzen sollen. Niemand traut sich. Dann wählen die beiden Personen mit einem Serviertuch über dem Arm Besucher:innen aus. Mit einem «Sie sind eingeladen» werden sie an den Tisch gebeten. Der Hauptgang wird serviert. Bunte Papierschnipsel werden auf die Gedecke gelegt. Die Papierformen scheinen aus dem Kunstwerk an der Wand herausgelöst. Wir lachen. Die sitzenden Gäste beginnen, mit überdimensionalen Papiermessern und -gabeln die Papierkunst zu zerschneiden. «En Guete».

Die Idee hinter «Gemeinsam Anders»

Der Rundgang «Gemeinsam Anders» ist ein Pilotprojekt des Haus Konstruktiv. Die Idee war, eine Alternative zu den regulären Führungen anzubieten, deshalb gibt es auch so wenig Kontext zu den Kunstwerken. So Michaela Blaser, die für die Vermittlung zuständig ist und das Projekt mitkonzipiert hat. Das neue Format soll keine Konkurrenz zu den bestehenden Führungen sein. «Gemeinsam Anders» wurde unter anderem von Menschen mit Behinderungen für Menschen mit Behinderungen, aber auch für alle anderen konzipiert. Durch diese Art der Führung soll möglichst vielen Menschen der Zugang zum Haus Konstruktiv ermöglicht werden. 

Ob es wieder einen solchen Rundgang geben wird, steht noch nicht fest. Für jede Durchführung braucht es Sponsor:innen und motivierte Performer:innen. Im Gespräch mit Sara, die die Performances einstudiert hat, spüre ich aber: Sie wäre wieder dabei. Und auch Michaela erzählt mir, dass die Nachfrage nach solchen Angeboten gross ist. Individuelle Ausstellungsbegleitungen, wie Roy sie anbietet, sind gut besucht. In einer Museumskultur, die oft elitär und unnahbar wirken kann, sind solche Angebote ein wichtiger Gegenpol.