Eine Saison lang einmal wöchentlich ins Theater gehen? Klingt zeitintensiv. Inwiefern das lohnt, zeigt ein Gespräch mit den Voyeur*innen.
Die Voyeur*innen sind eine Gruppe junger Menschen zwischen 15 und 25 Jahren, die einmal wöchentlich gemeinsam Theater oder Tanz gucken und sich anschliessend kritisch zum Gesehenen austauschen. Regelmässig laden sie dazu Theater- und Tanzschaffende oder weitere Expert:innen ein, die sich den Beobachtungen der Gruppe stellen und ihre Überlegungen dagegenhalten. Ich sprach mit der co-leitenden Person Elo Göldi über den Verein, den es in Zürich inzwischen seit 7 Jahren gibt.
Was sind das für Leute, die da zusammentreffen?
In der Saison 2021/22, die nun endet, waren wir 18 Personen. Wir kommen aus den unterschiedlichsten Kontexten: Manche studieren, andere sind beispielsweise in der Pflege oder der IT tätig … Manche bringen eigene Spielerfahrung oder schon Seherfahrung mit – andere haben noch gar keinen Bezug zum Theater. Fest steht: Die Leute, die zu uns kommen, sind offen gegenüber Formen und Inhalten und freuen sich über den Service, sich um nichts kümmern zu müssen: Sie erfahren einfach rechtzeitig, was wir schauen, wo wir schauen und wie lange das Stück dauert. Bei Produktionen in der Region buchen wir als Organisator:innen sogar die Zugverbindung und Fahrkarten.
Mit welcher Motivation kommen diese Personen zu den Voyeur*innen?
Die meisten schliessen sich den Voyeur*innen an, weil sie öfter ins Theater gehen möchten als dies in ihrem Freundeskreis üblich ist und um sich nach dem Theaterabend austauschen zu können. Hierbei starten sie oft mit der Sorge: ‹Was, wenn ich das nicht verstehe?› Theater und Tanz haben ja nach wie vor das Image, voraussetzungsreich zu sein; insbesondere für unerfahrene Zuschauer:innen baut die Möglichkeit zum Austausch Hemmungen ab, weil sie im Nachgespräch sagen können: ‹Leute, ich habe da jetzt gar nicht so viel mitgenommen. Was habt Ihr erlebt?›
Wie läuft ein typischer Donnerstagabend ab?
Wir Leitungspersonen kuratieren das Programm und organisieren die Besuche in Rücksprache mit den Häusern: In der Stadt sind das Gessnerallee, Fabriktheater, Schauspielhaus, Theater Winkelwiese, Tanzhaus, Neumarkt, Maximtheater, Theater Stadelhofen und Sogar Theater – im Kanton das Theater am Gleis, Theater Ticino oder Theater Winterthur. Die Voyeur*innen schauen sich den Abend ohne Stückeinführung an, denn das Besondere an den Voyeur*innen ist ja gerade, dass sie kein Vorwissen und keine Vorbereitung benötigen. Nach dem Stück kommen wir dann vor Ort – meist im jeweiligen Bühnenraum – zusammen und besprechen das Stück 60 Minuten lang nach.
Was passiert da?
Wir folgen hierbei einem Gesprächsprinzip, das sich bewährt hat: In einem ersten Schritt beschreiben wir, was haben wir wahrgenommen haben. Hierbei ist es gar nicht so einfach, nicht ins Interpretieren zu fallen! In einem zweiten Schritt interpretieren wir ausgehend von Momenten, Inhalten oder Fragen an die Form oder Struktur. Nach 50 Minuten dann ist das Bewerten des Abends explizit erwünscht! Beim jährlichen Saisonrückblick – eines der Highlights – ranken wir dann das beste und das schlechteste Stück.
Eure Theaterlust motiviert Euch. Welches Ziel verfolgen die Voyeur*innen?
Wir wollen einen institutionsunabhängigen Zugang zu Theater für ein junges Publikum schaffen. Die Voyeur*innen haben ferner das Ziel, einen breiten Einblick in die Zürcher Theater- und Tanzlandschaft zu bekommen und ein Verständnis vom zeitgenössischen Theaterbegriff zu entwickeln: Dass man hierbei vielleicht auch Dinge sieht, die einem nicht unbedingt gefallen, ist normal! Ein Ziel ist sicherlich auch die Gemeinschaft, die sich einstellt, indem man sich über den Vorstellungsbesuch austauscht. Übrigens kommen die Voyeur*innen aller Städte einmal jährlich zum überregionalen Treffen zusammen. Ein weiteres Highlight ist die jährliche Off-Season-Exkursion zum Theaterspektakel mit drei Abenden aus dem internationalen Kontext.
Gibt es Wiederholungstäter:innen?
Fast 1/3 der Voyeur*innen nehmen über mehrere Saisons teil. Oft ist es so, dass wir die Überalterten ‹in den Ruhestand› schicken müssen [lacht]! Nicht selten merkt man ihnen an, dass sie Referenzen und ein Vokabular aufgebaut, vielleicht auch einen eigenen Geschmack herausgebildet haben, der es dann zunehmend erlaubt, zielgerichteter zu suchen, was einem besonders gut gefällt. Viel Seherfahrung kann aber auch Einschränkungen mit bringen: Man macht weniger Experimente.
Was steht in der Voyeur*innen-Saison 2022 auf dem Programm?
Das wird an dieser Stelle nicht verraten werden!