Poesie und Archaik

Die japanische Künstlerin Chiharu Shiota (*1972) ist für ihre raumgreifenden Fadeninstallationen bekannt. Für ihre erste Einzelausstellung «Eye to Eye» in der Deutschschweiz hat sie eigens eine solche Installation entwickelt: Die Betrachtende tauchen ein in ein Meer von senkrecht hängenden roten Seilen, an denen unzählige Korrektur- und Sonnenbrillen befestigt sind. Shiota greift oftmals auf Fundstücke zurück, denn sie stellen ihr zufolge eine unmittelbare Verbindung zu den einstigen Besitzer*innen her. Solche gebrauchten Gegenstände können wie in der raumumfassenden Installation eingeknüpft oder wie in den zwei Arbeiten «State of Being» von dichten Fadenstrukturen umhüllt sein. Die roten Fäden finden sich auch in ihren zweidimensionalen Werken wieder: In den Zeichnungen «Connected to the Universe» verbindet die Künstlerin kleine Figuren durch eingearbeitete rote Fäden mit organischen Farbgebilden. Dabei versteht sie die verknüpften Fäden als Sinnbild für komplexe zwischenmenschliche Beziehungen. In einigen asiatischen Kulturkreisen herrscht zudem der Glaube, Seelenverwandte seien durch einen roten Faden miteinander verbunden.

Während Shiotas Schaffen von filigranen, organischen und netzartigen Formen geprägt ist, zeichnet sich das Œuvre von Salvatore Emblema (1929–2006) durch grobe Texturen und monochrome Farbflächen aus. Unter dem Titel «Sub-limine» widmet das Museum Haus Konstruktiv dem italienischen Künstler die erste Schweizer Retrospektive. Obwohl sich sein künstlerisches Werk keinem bestimmten Stil zuordnen lässt, sind deutliche Bezüge zur Minimal Art oder Arte Povera erkennbar. Emblema verwendet etwa Naturmaterialien wie Kastanienzweige oder unbehandelten Lapillus. Meist bemalt er seine Leinwände mit eigens zusammengestellten Erdpigmenten aus Vulkanasche, versteinerter Lava und Metalloxiden. Die dadurch entstehenden reliefartigen Oberflächen werden durch die Verwendung von Jute als Malgrund verstärkt. Anfangs malt er aus Geldnot auf Jute, doch schon bald fasziniert ihn die grob gewebte, durchscheinende Struktur. So ist sein Werk stets von einer gewissen Taktilität charakterisiert. Auch Bezüge zu Künstler*innen werden ersichtlich; so hat ihn die Begegnung mit Mark Rothko nachhaltig geprägt. Ähnlich wie Rothkos Color Field Paintings laden Emblemas monochrome Farbflächen zum Verweilen und Meditieren ein.