Stranger in the Village – James Baldwin im Aargauer Kunsthaus

Redaktion Frank Wendler
Redaktion Frank Wendler

Vor James Baldwin hatte kein Schwarzer Leukerbad je betreten. Von seinen Erfahrungen erzählt eine beeindruckende Ausstellung im Aargauer Kunsthaus.

Baldwin wuchs in einer armen baptistischen Familie in New York auf, war im Civil Rights-Movement engagiert und floh vor dem alltäglichen Rassismus in Amerika nach Europa. Die Ausstellung, die sich bewusst auf den Status der Schwarzen Menschen in seiner Heimat konzentriert, erzählt von Baldwins Winter 1953 in den Schweizer Alpen, dessen Erfahrungen drei Dutzend Künstler:innen mit ihren Arbeiten kommentieren. Der Rundgang beginnt mit einem halbstündigen, erstaunlich modernen Film des SRF, der den jungen, aber als Essayist und Aktivist schon sehr bekannten Autor in dem verschneiten Leukerbad besucht hatte. Er sagt, er sei eine Attraktion, ein Fremder wie am Tag seiner Ankunft. Am zugänglichsten sind die Kinder, die ihn bestaunen, seine Haut berühren und verblüfft sind, dass sie nicht abfärbt. Die Kunstwerke in einem Dutzend grosszügiger Räume sind nicht so hermetisch und verrätselt, wie es moderne Kunst oft ist. Glenn Ligen aus New York hat ein grossformatiges Gemälde eingebracht, in der einige Zeilen aus Baldwins Buch in schwarzer Schrift auf schwarzem Untergrund nur als Reliefs zu erkennen sind, ein für mich unmittelbar einleuchtender Kommentar. Eine grossformatige, bunte Installation lebendigen schwarzen Lebens ist aus Pappkartons gebaut. Eine gedemütigte, knieende schwarze Figur wird durch Spiegel in die Unendlichkeit vervielfältigt. Baldwin beendete sein Buch mit der Dekonstruktion des Weiss-Seins. Es sollte nicht länger der Massstab sein, von dem alle anderen Menschen abweichen. Sein Resümee: «Diese Welt ist nicht mehr weiss und sie wird nie wieder weiss sein.»

Das gerade sanierte Kunsthaus Aargau präsentiert ausserdem eine imponierende Dauerausstellung, die jedes Jahr aus einem Fundus von 30‘000 Exponaten neu arrangiert wird. Sie bietet Kunst vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart: Klassiker wie Anker und Hodler, Böcklin, Füssli und Kirchner, moderne Klassiker wie Bill und Arp sowie zahlreiche zeitgenössische Arbeiten. Frauen sind unterrepräsentiert, was sicher nicht Absicht des Museums ist, sondern der Tatsache einer patriarchalen Schweiz geschuldet ist. Die Gründung eines nationalen Museums war aber eine vorausschauende Entscheidung. Als sich der aargauische Kunstverein 1860 konstituierte, gab es in Basel, Bern und Zürich bereits ausgezeichnete internationale Sammlungen. Da lag es für die Gründer nahe, einheimische Kunst zu sammeln. Das heutige Kunsthaus geht auf das Jahr 1959 zurück. Es wurde nach einem Entwurf der Architekten Herzog & de Meuron vor zwanzig Jahren erweitert, ist heute modern, weitläufig, transparent, bunt, auch als Bauwerk faszinierend und einen Besuch absolut wert.

Stranger in the Village - Rassismus im Spiegel von James Baldwin läuft im Aargauer Kunsthaus bis zum 7. Januar 2024. Bis zum 12. November 2003 zeigt ausserdem die Ausstellung «Sammlung 23» eine Auswahl der über 30‘000 Werke aus dem Fundus des Museums, die jedes Jahr neu kombiniert wird. Alle weiteren Informationen unter www.aargauerkunsthaus.ch

Öffentliche Führung. Stranger in the Village

Aargauer Kunsthaus

Öffentliche Führung. Stranger in the Village

Rundgang durch die Ausstellung mit den Kunsthistorikerinnen Brigitte Haas, Ursula Meier oder Astrid Näff.

Performative Lesung: Stranger in the Village

Aargauer Kunsthaus

Performative Lesung: Stranger in the Village

Die Sängerin, Schauspielerin und Aktivistin Brandy Butler hält eine szenische Lesung von Baldwins Text "Stranger in the Village".

Anti-Rassismus-Workshop mit Mandy Abou Shoak

Aargauer Kunsthaus

Anti-Rassismus-Workshop mit Mandy Abou Shoak

Mithilfe von Textpassagen aus Baldwins Essay Stranger in the Village reflektieren TeilnehmerInnen Aktuelles und Vergangenes.

Ishita Chakraborty

Aargauer Kunsthaus

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Ihre Arbeit umfasst eine Vielzahl von Medien, von Installationen über Wandmalereien bis hin zu Sound und Poesie.

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Von Frank Wendler am 21. September 2023 veröffentlicht.

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