Mein Lieblingskulturort: Gewerbemuseum Winterthur

Das Museum sensibilisiert für Prozesse und Materialien hinter der grossen Bandbreite heutiger Gestaltung.

Gewerbemuseum: Der Name klingt etwas altbacken. Und ist so gesehen irreführend. Denn was Besucher:innen im Gewerbemuseum Winterthur zu sehen bekommen, ist total heutig. Das Haus, das Mitten in der Altstadt von Wintherthur liegt, entspricht auch nicht dem klassischen Bild eines Museums. Denn an diesem Ort geht es auch stark um Partizipation und viele Dinge darf man – in der Regel ein absolutes No-Go – sogar berühren!

An dieser Stelle muss ich ausholen und erläutern, was hier überhaupt mit Gewerbe gemeint war, denn das Wort deckt eine ganze Palette von Bedeutungen ab. In diesem Fall handelt es sich um eine Abkürzung, im Fokus stand das so genannte Kunstgewerbe. Mit anderen Worten: Es ging um Gegenstände, in erster Linie um Gebrauchsgegenstände. Und weil niemand sich mit hässlichen Dingen umgeben will, hat der Mensch seit eh und je viel Aufwand betrieben, um Nützliches mit Schönem zu verbinden. Viele handwerklich, maschinell oder industriell hergestellte Alltagsobjekte haben auch einen künstlerischen Anspruch. Diese Spezifizierung benennt das Gewerbemuseum Winterthur klar: Es sei ein Haus für Design, Kunst und Alltagskultur.

Dass Dinge, die wir täglich benutzen, nämlich sehr wohl eine kulturelle Bedeutung haben, ist vielen Menschen nicht bewusst. Zu fest steckt in den Köpfen die Abwertung von Gestaltung als – im Vergleich zur hehren Kunst – blosse Stilfrage. Doch Gestaltung, zu neudeutsch Design, hat eine lange Geschichte, die schon immer an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Kultur stand. Genau das macht Design relevant. Ein Grund mehr, diesem Thema ein Museum zu widmen. Designmuseen gibt es einige, auch international. Das Gewerbemuseum Winterthur ist allerdings ein Unikum – in mehrfacher Hinsicht.

Die wechselnden Ausstellungen werden durch eine absolut faszinierende Sammlung von Materialien ergänzt: Das Material-Archiv. Das seit 2009 permanent eingerichtete Archiv ist mehr eine blosse Präsentation von Materialmustern. Es ist ein eigentliches Forschungslabor: Und zwar für Gross und Klein, Fachpersonen oder Laien. Dieses Alleinstellungsmerkmal in der hiesigen Museumslandschaft ist einer der Gründe, warum ich diesen Ort so gerne besuche und dort jedes Mal etwas Neues lerne. Übrigens ist dieses Wissen nicht einfach ein Nice-to-have. Denn wieso sollte ich nicht mehr wissen sollen über Sachen, die ich täglich nutze. Noch wichtiger: Als Konsument*in von Waren ist es sogar meine Pflicht, etwas über ihre Herstellung und ihre Entstehung in Erfahrung zu bringen.

Material-Labor

Gewerbemuseum Winterthur

Material-Labor

Ob Glas, Metall, Holz, Papier, Plastik, Steine, Keramik, Farben oder auch Leder – hier gilt: Stöbern, Rätseln, Forschen und Entdecken.

Dauerausstellung

Wir können angesichts der Klimakrise nicht mehr die Augen verschliessen vor der Tatsache, dass unser Konsumverhalten wesentlich zu dieser misslichen Lage beigetragen hat. Aber warum brauchen wir noch ein Museum zu diesem Thema, könnte man sich fragen. Wenn wir eh damit aufhören sollten, neue Dinge zu produzieren. Darum geht es eben nicht primär im Design. Dieser reduzierenden Sicht auf die Disziplin Design muss etwas entgegengesetzt werden. Was das Gewerbemuseum Winterthur auch macht!

Dem komplexen Auftrag, die aktuellen gestalterischen Tendenzen zu fassen und das Wissen über Materialien zu vermitteln, nimmt das Museumsteam um Susanna Kumschick mit grossem Engagement und viel Herzblut wahr. Die Freiheiten und Vorteile, die ein Museum mittlerer Grösse mit sich bringen, pflegen die Kurator:innen ganz bewusst. Ihr Museum sei ein ausserschulischer Lernort und eine Sensibilisierungsmaschine, sagt die Direktorin.

Durch die vielen Kooperationen mit internationalen Kunstgewerbemuseen steht der Vernetzungsgedanken stark im Vordergrund, auch innerhalb des Museums selber. Die Synergien zwischen Wechselausstellungen und Materialarchiv erlauben eine unmittelbare Vertiefungsmöglichkeit. Tauchen in einer Schau materialtechnische Fragen auf, können Besucher:innen gleich ein Stockwerk hinauf und finden konkrete Antworten darauf, sagt der Kurator Mario Pellin.

Das Museum möchte Gestaltungsprozesse nachvollziehbar machen. Das geschieht mitunter durch das Vermittlungsprogramm, zu dem Workshops für Schulen oder einem breiteren Publikum gehören. Dieses Museum ist eher ein Labor und Ort des Experimentierens und schafft es zudem auch mit partizipativen digitalen Formaten, den heutigen Anforderungen an lebendige und demokratische museale Praxen gerecht zu werden. Nicht zuletzt kann es dazu beitragen, den aktuellen Bewusstseinswandel  – nicht nur was Nachhaltigkeit, sondern auch was Gendergerechtigkeit  betrifft – voranzutreiben.

The Bigger Picture: Design – Frauen – Gesellschaft

Gewerbemuseum Winterthur

The Bigger Picture: Design – Frauen – Gesellschaft

Die Schau macht das Schaffen von rund 90 Designerinnen über einen Zeitraum von 120 Jahren sichtbar und eröffnet eine zukunftsgerichtete Diskussion.

Dauerausstellung

© Material Cultures

Gewerbemuseum Winterthur

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